Lebenslauf Moshè Feldenkrais

Ein Motiv für Moshè Feldenkrais, die nach seinem Namen benannte Lernmethode zu entwickeln, ist die Verletzung seines linken Knies gewesen, die er sich als junger Mann beim Fußballspiel zuzog.

Seine Fortbewegung war über viele Monate sehr beeinträchtigt, verbunden mit starken Schmerzen. Da chirurgische Eingriffe am Knie zur damaligen Zeit um 1920 noch nicht selbstverständlich waren und nicht den heutigen
medizinischen Standard hatten, waren die Erfolgsaussichten eines Eingriffs nur unsicher vorauszusagen. So entschloß sich Moshè Feldenkrais einen anderen Weg der Behandlung zu suchen, der eher geeignet war, seine Kniefunktion zurückzuerlangen.

Zeitraum bis 1930

Moshè Feldenkrais wurde 1904 in Slawuta (Ukraine) geboren. Seine Familie zog später in die kleine Stadt Baranowitz (russisches und polnisches Gebiet) um. Dort wuchs er als Kind auf.

Mit 14 Jahren siedelte er in das damalige Palästina über, das noch britisches Mandatsgebiet war. Dort arbeitete er einige Jahre als Pionier und beteiligte sich daran, Tel-Aviv aufzubauen. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen und Geld für die beabsichtigte Studienzeit zurückzulegen, verrichtete er neben der Schulzeit die verschiedensten Arten von harter körperlicher Arbeit.

Am Herzl-Gymnasium in Tel Aviv machte mit 23 Jahren sein Abitur.

Sein Freizeitinteresse galt der Selbstverteidigungsart Jiu-Jiutsu über die er eine schriftliche Abhandlung erstellte.

Diese recht ungewöhnliche Sportwahl wird verständlich vor dem Hintergrund, daß die jüdischen Siedler, die keine Waffen tragen durften, sehr häufig von den Arabern angegriffen wurden und sich gegebenenfalls auf diese Art verteidigen konnten.

Ein einschneidendes Ereignis für Moshè Feldenkrais ist in dieser Zeit eine Knieverletzung.gewesen, die er sich beim Fußballspiel zuzog. Trotz der Konsultation verschiedener Arzte waren diese mit ihrer konventionellen Medizin nicht in der Lage, einen befriedigenden Heilungsprozeß in Gang zu setzen.

Für ihn war diese Verletzung und die wenig erfreulichen ärztlichen Aussichten einer Besserung der Auslöser, nach eigenen Wegen der Selbsthilfe und -heilung zu suchen. Seine Überlegungen und Forschungsarbeiten im Hinblick darauf, eine alternative Heilungsmethode zu entwickeln, sollten in den nächsten Jahrzehnten immer stärker sein Leben beeinflussen.

Moshè Feldenkrais studierte Mathematik und arbeitete anschließend 5 Jahre bei der Landesvermessung, die dazu diente, Landkarten zu erstellen.

Im Zeitraum 1930

Die Arbeit ermöglichte ihm, genügend Geld zu sparen, um 1928 nach Paris zu gehen und dort Elektrotechnik und Maschinenbau zu studieren.

Der Abschluß als Ingenieur befriedigte ihn jedoch nicht und er setzte seine naturwissenschaftlichen Studien mit dem Besuch der Universität Sorbonne fort, um dort den Doktortitel zu erlangen.

In dieser Zeit wurde er dem Laboratorium von Frederic Joliot-Curie zugeteilt. Joliot Curie erhielt zusammen mit seiner Frau 1938 den Nobelpreis für Physik.

Moshè Feldenkrais ist sicherlich durch seine Studien bei Joliot-Curie sehr stark in seinem Denken von der physikalischen Betrachtungs- und Begriffswelt geprägt worden.

1933 lernte er den Judo Meister Prof. Jigaro Kano kennen. Moshè Feldenkrais machte Prof. Kano mit seinen Abhandlungen über Jiu-Jiutsu bekannt, welche dieser für eigene Studienzwecke nach Japan mitnahm.

Zusammen mit dem japanischen Gesandten Yatao Sugimra, dem es ein Anliegen war, Judo in Frankreich zu verbreiten, gründete Moshè Feldenkrals 1936 den Judo Club von Frankreich, der heute fast eine Million Mitglieder zählt.

Der Unterricht bei Kano, Sugimra und anderen Lehrmeistern führte dazu, daß Moshè Feldenkrais den Schwarzen Gürtel erlangte.

In den 30er Jahren schrieb und veröffentlichte er 3 Bücher über Judo.

Man kann mit Recht behaupten, daß Moshè Feldenkrais entscheidend dazu beitrug, Judo im Westen bekannt zu machen. Unter seinen ersten Schülerinnen befanden sich neben seiner Schwester Malka auch Frederic und Irene Joliot-Curie sowie andere Kollegen aus seinem wissenschaftlichen Arbeitsbereich.

In dieser Zeit verspürte Moshè Feldenkrais wieder starke Schmerzen in seinem Knie, die von seiner alten Verletzung beim Fußballspiel herrührten. Er hatte sein Knie bandagiert und wohnte im oberen Stockwerk einer langen Flurtreppe. Vom Schlaufraum bis zum Baderaum war es eine beträchtliche Entfernung. Für ihn stellte sich die Frage, wie er sich in seiner Wohnung angemessen und halbwegs schmerzfrei fortbewegen könnte. Die persönliche Betroffenheit motivierte ihn, grundsätzliche Studien über die menschliche Bewegung zu betreiben und die Aneignung von mechanischen, physikalischen und neurophysiologischen Kenntnissen auf das Problem der Funktionsweise des Knies zu übertragen.

Im Zeitraum 1940

Mit Ausbruch des 2. Weltkrieges und dem Einmarsch der Deutschen Armee in Frankreich änderte sich für Moshè Feldenkrais die Lebenssituation schlagartig.

Eine interessante Geschichte rankt sich um jene Situation, in der die deutsche Gestapo das Joliot-Curie Laboratorium besetzte und die Mitarbeiter, die im Verdacht standen, Kommunisten und Juden zu sein, im Hof zusammentrieb. Malka, die Schwester von Moshè Feldenkrais, die ebenfalls im Laboratorium arbeitete, erkannte die für ihre Mitarbeiter gefährliche Situation. Sie trat hinter ihre Arbeitskollegen, griff in ihre Taschen, holte deren Personalausweise, unbemerkt von der Gestapo, heraus und ließ sie bei sich verschwinden. So wurde keiner verhaftet.

Im späten Sommer 1940 flüchtete die französiche Regierung nach Südfrankreich und Joliot-Curie wurde ein "Ein-Tages Minister", der bei der Regierung dafür plädierte, Moshè Feldenkrais die Flucht aus Frankreich nach England zu ermöglichen, da er im nuklearen Bereich aufgrund seiner wissenschaftlichen Tätigkeit zu viele Kenntnisse besitzt und außerdem Jude ist.

Moshè Feldenkrais führte bei seiner Auswanderung 2 Koffer mit Geheimpapieren aus dem Joliot-Curie Laboratorium und Aufzeichnungen über Experimente aus dem Bereich der Nuklearforschung mit sich. Sie sollten vor den Nazis sichergestellt und den Alliierten zugänglich gemacht werden. Moshè Feldenkrais verließ Frankreich mit anderen Flüchtlingen nahe Bordeaux auf einem britischen Zerstörer. Da die Flüchtlinge einen großen Teil ihres Gepäcks aufgrund von Platzmangel zurücklassen mußten, hatte er große Mühe, seine 2 Koffer zu behalten und mit an Bord zu nehmen.

Als der Berater des damaligen britischen Kabinetts Prof. J.D. Bernal erfuhr, daß Moshè Feldenkrais in England um Asyl bat, ließ er ihn zu sich kommen. Er hatte viel von seiner Arbeit in Paris gehört und meinte, daß solche Leute wie Salz in der Suppe sind.

Moshè Feldenkrais wurde in die britische Marine "H.M. Underwater Detection Establishment" aufgenommen und nach Fairlie an die Westküste von Schottland versetzt. Er war von diesem Arbeitsort, an dem er sich zusammen mit den anderen Wissenschaftlern sehr abgeschottet und einsam vorkam, nicht besonders begeistert. Jedoch bot ihm die aus der Not erwachsene neue Situation die Möglichkeit, als Wissenschaftler zu arbeiten und sich zu etablieren.

In Fairlie hat er bis zum Ende des Krieges für die britische Admiralität und die Alliierten in der wissenschaftlichen Abteilung als Forschungsoffizier für die U-Boot Abwehr gearbeitet und wurde eine wichtige Person im britischen Kriegsministerium.

Neben seinen Forschungsarbeiten in Fairlie galt sein theoretisches und praktisches Interesse dem Judo, für das er auch seine Kollegen begeistern konnte. Er begann an diesem abgelegenen Ort 1944 mit erstem Unterricht zur Funktionalität menschlicher Bewegung, wobei er Yoga Übungen mit einschloß. Einen Namen für seine Lernmethode hatte er noch nicht.

Parallel trieb er in diesen stürmischen und arbeitsreichen Jahren seine Studien über die Funktionsweise des menschlichen Körpers voran. Selbst während des Krieges hielt er in den Jahren 1943/44 Vorträge über dieses Thema vor der "Association of Scientific Workers". Die Vorträge sind eingegangen in die ersten Kapitel seines später erschienenen Buches Body and Behaviour.

Nach dem Krieg ging Moshè Feldenkrais nach London und wohnte im Belsize Park. Er praktizierte und lehrte Judo im Budokai in London und benutzte die dortigen Räume für die Fortsetzung seiner praxis- bzw. bewegungsorientierten Lernstudien. Er baute eine Lerngruppe auf und experimentierte mit den Teilnehmern im Hinblick auf die Wirkungsweise und Effizienz seiner Lernmethode.

Eine lebenslange Freundschaft verband ihn mit Allison Downs.

Während der Zeit in London knüpfte er viele Freundschaften, pflegte einen regen wissenschaftlichen Austausch und konnte ein wachsende Zahl von Interessenten für seine Lernmethode gewinnen. Es entstand eine erste Gruppe, genannt "Core", mit den Leuten Davie Boston, Allison Downs, Franz Wurm und anderen Freunden von Moshè Feldenkrais. Sie unterrichteten die ersten von Moshè Feldenkrais entwickelten Lektionen, die später mit anderen unter der Bezeichnung "Awareness Through Movement" veröffentlicht wurden.

Bedeutende Ereignisse im Leben von Moshè Feldenkrais, mit nachhaltiger Auswirkung auf seinen eigenen Lernprozess, sind die Besuche in Zürich bei Heinrich Jacobi gewesen, der sich der von Elsa Gindler vor dem Krieg in Berlin entwickelten Körperarbeit angenommen hatte. Moshè Feldenkrais entdeckte, daß sehr viele der in seinem 1949 erschienenen Buch "Body and Behavior" beschriebenen Einstellungen und Haltungen zur Bewegungsarbeit bei Jacobi wiederzufinden waren. Die Begegnungen und der rege kommunikative Austausch mit Jacobi empfand er als sehr belebend und lehrreich.

Moshè Feldenkrais hatte auch ein paar lose Kontakte in London zu F. Matthias Alexander geknüpft, dem Erfinder der Technik zur Koordination von Kopf, Hals und Rumpf. Diese Begegnungen haben vermutlich auch seine Arbeiten mit beeinflußt.

Eine wirkliche Freundschaft entwickelte sich mit Charles Neal, einem Schüler von Alexander.

Neben seinem Buch "Body and Behavior" veröffentlichte er seine Ansichten über "Die Angst und das Fallen", "Die Bedeutung des Vestibularzweiges des achten Schädelnervs". Die entsprechenden Darstellungen sind inzwischen allgemein übernommen und theoretisches Gemeingut.

Die späten 40er Jahre sind für Moshè Feldenkrais sehr schwierig gewesen. Er war in seinen Forschungsarbeiten und Erkenntnissen über die Funktionsweise der menschlichen Bewegung mittlerweile soweit, daß er gefunden, was er gesucht hatte. Die Ergebnisse waren für ihn so klar, einfach und deutlich, daß er meinte, "entweder ich bin faul oder die Anderen sind dumm". Ohne die Unterstützung seiner Ideen durch J.D. Bernal, Julian Huxley, Francis Huxley und Lolly Zuckerman, hätte er "die ganze Sache über Bord geworfen".

Zur gleichen Zeit, als er mit Erfolg eine sehr kranke Frau heilte und diese ihm das Angebot machte, 1 Million Pfund Sterling für die Gründung eines Institutes für seine Arbeit zur Verfügung zu stellen, bekam Israel politische Schwierigkeiten mit der ägyptischen Marine. Moshè Feldenkrais, ein Experte in der militärischen Aufklärung, bekam das Angebot, the "scientific research section", die elektronischen Abteiltung der israelischen Armee, zu leiten. Von einem seiner engsten israelischen Freunde in London, der ebenfalls ein Freund von Ben-Gurion war, wurde er gebeten, bei seinem Aufenthalt in Israel sich des ersten Premierministers des Staates Israel anzunehmen, der starke Schmerzen im Nackenbereich und in den Gelenken verspürte und bei dem die medizinische Hilfe versagte.

Zeitraum 1950 - 1960

Das neue berufliche Angebot war für Moshè Feldenkrais vermutlich verknüpft mit patriotischen und anderen sentimentalen Gründen, die ihn bewegten, die Chance der Gründung eines eigenen Institutes in London nicht zu nutzen und Anfang der 50er Jahre nach Israel zu gehen. Dort verbrachte er die folgenden 35 Jahre bis zu seinem Tod.

Moshè Feldenkrais sagte dazu: "Wenn ich ein Arzt und eine berühmte Person werden würde, würde ich genauso dumm wie all die anderen Arzte bleiben.'

Er lebte in Tivon mit seiner attraktiven Freundin, einer Schülerin von Elly D. Friedmann.

1955 behandelte er David Ben-Gurion. Der berühmte Kopfstand von David Ben-Gurion am Strand von Tel-Aviv wurde auf einem Pressefoto festgehalten, das um die Welt ging. Auf diesem Photo sind neben dem Premieminister Moshé Feldenkrais und Charles Neal abgebildet. Das Photo half, die bislang im Verborgenen geleistete Arbeit von Moshè Feldenkrais bekannt zu machen.

Zeitraum ab 1970

Moshè Feldenkrais unternahm sehr viele Reisen ins Ausland, um seine Lernmethode in Vorträgen, Seminaren und Trainingskursen zu verbreiten.

Seine Arbeit an der Bewegungswahrnehmung nahm ihn zeitlich immer mehr in Anspruch. Sie gewann für ihn zunehmend an Bedeutung im fortgeschrittenen Lebensalter. So schied er aus der Arbeit für die israelische Regierung aus und widmete sich ganz seinen Bewegungstheorien. Er verfeinerte seine Anschauungen über die Einheit von Geist und Körper, lehrte und veröffentlichte sein Gedankengut in etlichen Büchern.

Er nannte die beiden von ihm entwickelten Techniken Funktionale Integration und Bewußtheit durch Bewegung.

Diese beiden Arbeitsmethoden hat er in seinen späten Lebensjahren in rund einem Dutzend Ländern gelehrt.

In diesen Jahren des Helfens und Lehrens hat er durch Berühren und Bewegen unzählige Köpfe in seinen Händen gehalten. Der jüngste Kopf war der eines fünf Wochen alten Säuglings, dessen Hals durch die Geburtszange verletzt worden war, der älteste der eines 97 jährigen Kanadiers, der elektrisiert worden und seit mehr als dreißig Jahren gelähmt war. Unter den unzähligen Menschen, die im Laufe von 40 Jahren von Moshè Feldenkrais betreut und behandelt wurden, befanden sich bedeutende Persönlichkeiten, wie Prof. J.D. Bernal (ein Mann mit fast universeller Bildung), Prof. Lord Boyd-Orr (1. Präsident der Welt-Gesundheitsorganisation), Prof. Aaron Katzir (Leiter des Weitzmann-Instiuts) und David Ben Gurion (Gründer des Staates Israel).

Moshè Feldenkrais starb 1984.

Forschungsarbeiten

Folgende Wissenschaftler, deren Theorien Moshè Feldenkrais als Grundlage dienten, können genannt werden:

Jacques Monod, Erwin Schrödinger, J. Z. Young, Konrad Lorenz und Milton H. Erickson. Ihre Arbeiten beschäftigen sich mit Fragen der Philosophie, der Entwicklungslehre, der Semantik und beleuchteten Teilaspekte der psychophysischen Weit.

Weitere wichtige Impulse erhielt er durch seine Studien über den Fernen Osten, durch die Judo-Meister und durch Zen. Die Theorien von Thorndyke, Pawlow und anderen Psychologen waren ihm ebenfalls wohlbekannt. Auch die Betrachtungen der griechischen Philosophie über die Einheit von Körper, Geist und Seele fanden Eingang in seine eigene Lebensphilosophie. Seine außerordentlichen Kenntnisse über die Funktionsweise des menschlichen Gehirns und Forschungstätigkeiten in den Bereichen der Physik, Physiologie, Neurologie und Anatomie sind Grundlagen seiner kreativen Arbeit im Bereich der Re-Edukation durch Bewegungsbewußtheit sowie für die Entwicklung seiner dynamischen Lernmethoden.

Moshè Feldenkrais setzte die Erkenntnisse in die Praxis um. Ihm war die unmittelbare Nutzanwendung des Wissens von Bedeutung. Er übertrug die neurophysiologischen, -psychologischen, ethologischen, physikalischen, psychologischen und pädagogischen Erkenntnisse