Lernen
 
Schulisches Lernen Organisches Lernen Ontogenetische Entwicklung Lernen nach Feldenkrais

"..... und ich möchte Sie, so gut ich es kann bitten, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst lieb zu haben, wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein".

Rainer Maria Rilke

Hinter der obigen Aussage steht eine bestimmte Art von Lernen, das sich an selbstformulierten Fragen orientiert und forschenden, experimentellen Charakter besitzt.

Die Feldenkrais-Methode bietet eine Anleitung zum Lernen, das neuro-psychologische Entwicklungsprinzipien berücksichtigt. Sie stellt sich die Frage, wie lernt der Mensch zu lernen.

Moshè Feldenkrais spricht von zwei Lernarten, dem institutionellen und organischen Lernen. Beide gehen von unterschiedlichen Verständnissen und Haltungen aus. 

Das institutionelle (schulische) Lernen

Der Schüler soll sich in einer vorgegebenen Zeiteinheit ein bestimmtes Verhalten aneignen, das er vorher noch nicht gezeigt hat und das sich von einem anderen Verhalten unterscheidet, z.B. sportliche Fertigkeiten, Lesen, Schreiben, Rechnen, Geschichtsdaten, Gedichte. Wissen und Können stehen im Vordergrund.

Was der Schüler wissen soll, wird vorgegeben. Dies geschieht über die Instruktion. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sämtliche Störfaktoren, die diese Aneignung verhindern, ausgeschaltet werden. Dies ist die Kunst der schulischen Methode. Es wird dabei weniger gefragt, ob die Verhaltensänderung für das Individuum sinnvoll erscheint, ob die persönlichen Bedingungen gegeben sind, sich dieses Verhalten anzueignen etc.

Das Besondere an dieser Art von Lernen besteht darin, dass die zu beantwortenden Fragen schon ihre Antworten beinhalten. Die Kunst besteht darin, diese Antworten zu kennen und zu behalten. Die Antwort auf eine Frage, deren Antwort feststeht, kann entweder falsch oder richtig sein. Die Entscheidung für die Antwort ist längst getroffen, bevor dem Schüler die zugeordnete Frage vorgelegt wird.

Heinz v. Foerster spricht bei dieser Art von Lernen von trivialer Aneignung und nennt die Fragen, deren Antworten feststehen, unentscheidbar.

Das organische, natürliche Lernen

Der Schüler besitzt die Kompetenz, sich in eigener Verantwortung Verhaltensweisen anzueignen, die für ihn sinnvoll sind, Lust, Freude und Zufriedenheit bewirken. Er wird von seiner personalen und materialen Umwelt mit den vielfältigsten Reizen angeregt und zum Handeln animiert.

Über die verschiedenen Sinnesbereiche tritt der Schüler in Kontakt zu seiner Umgebung und trifft über die Selektion und den Vergleich sensorische, kognitive und emotionale Entscheidungsprozesse, wie er den Anforderungen begegnen möchte.

Diese Selbstregulation ist ein aktiver, innengesteuerter Organisationsprozess. Die Person wählt aus, welche Verhaltensweisen ihr angemessen und sinnvoll erscheinen, um mit der Umwelt zu interagieren. Das Individuum bestimmt, was für ein Verhalten es zeigen möchte. 

Lernen entsteht im Entwerfen neuer Strategieen, im Ausprobieren neuer Kommunikationsmuster und in der Annahme von Irrtümern und Fehlern. So entstehen individuelle Handlungsmuster und entwickeln sich individuelle Kompetenzen, die im Einklang stehen mit den Anforderungen der Umwelt.

Nicht das Resultat, das Produkt an adäquaten Verhaltensmustern ist das Entscheidende sondern der Auseinandersetzungsprozess der Entscheidungsfindung für passende Erkenntnisse.

Ontogenetische Entwicklung

Die Sichtweise, Lernen als einen Prozess der Entstehung von Kompetenzen zu verstehen, findet seine Legitimation sehr prägnant und offensichtlich bei der Betrachtung der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern.

Das Kind ist bei der Geburt nicht mit fertigen und vorhandenen Bewegungs- und Handlungsmustern ausgestattet (Ausnahme Reflexe) sondern erarbeitet sich diese über Erfahrungen und Schlussfolgerungen. Es ist in einen sozialen Kontext eingebettet interagiert mit seiner Umwelt in der Qualität des Experimentierens und Ausprobierens. Es sucht sich aus allen kommunikativen Versuchen, die in ihren Auswirkungen als lrrtümer oder Erfolge verbucht werden, diejenigen Lösungen aus, die sich verbunden  mit seinem Anliegen als befriedigend und zweckmäßig erweisen.

Zusammenfassend sind folgende
Prinipien zu nennen:

  • Jeder Organismus reguliert sich selbst und entwickelt sich über die Verstörungen, die aus der Umwelt auf ihn einwirken.

  • Aus der Komplexität von Anregungen in unterschiedlichen situativen Gegebenheiten trifft  der Organismus eine Auswahl, die ihm Handeln und eine für ihn gute Orientierung ermöglichen.

  • Das zufällige Handeln des Individuums wird zum organisierten Handeln.

  • Das willkürliche Handeln wird zum ordentlichen Handeln.

  • Die unterschiedslos alles aufnehmende Handlung wird zur ausgewählten, gezielten, differenzierten Handlung.      

Lernen nach der Feldenkrais-Methode

Die Feldenkrais-Methode orientiert sich ausschliesslich am organischen Lernen. Auf der Ebene des körperbezogenen, sensomotorischen Lernens stellt sie die Frage: „Wie organisiert sich ein bestimmtes Wahrnehmungs- und Bewegungsmuster“? Im Einzelnen heisst dies:

  • Die Haltungs- und Bewegungsmuster des eigenen Körpers werden als Medium benutzt, Lernprozesse in Gang zu setzen.
     

Eingeleitet durch Frage- und Aufgabenstellungen werden die eigenen Haltungen und Bewegungen bewusst über das Körperspüren, die Tiefensensibilität, angeschaut.

Im Sinne der systemischen Sichtweise werden Teilbewegungen und deren gegenseitige Bezogenheiten erspürt. Es entwickelt sich ein Erfahrungswissen über das, was eine Gesamtbewegung beinhaltet. Die Auseinandersetzung zentriert sich auf die Frage, wie die Teilbewegungen funktional aufeinander bezogen sind.

Aus einer Gesamtbewegung werden Teilbewegungen, die zur Gesamtheit beitragen, gezielt erspürt, verändert und in ihren Auswirkungen auf anderen Teilbewegungen und die Gesamtbewegung wahrgenommen.

Es entsteht ein Erfahrungswissen und Erkennen über die Art der Körperhaltung und -bewegung.

Durch das bewusste und spielerische Verändern von Bewegungen sowie die Suche nach Alternativen erhält der Organismus die Möglichkeit, sich die motorischen Organisationsmuster auszusuchen, die von einem Maximum an Ökonomie gekennzeichnet sind. Die Vielfalt an bewußt und experimentell vollzogenen Bewegungen stimulieren das Nervensystem und geben ihm die Möglichkeit, in einem Selektionsprozess von Annahme und Verwerfung, den Körper in seiner Weltbezogenheit in schonende und möglichst effektive Handlungen einzubinden.